Wie unser Leben und Erleben von Beziehung durch KI für immer verändert wird
Liebe Leser:innen,
herzlich willkommen im Herbst!
Es ist viel los in der Welt. Für meinen ersten Artikel in der dunkleren Jahreszeit habe ich mir das Thema KI herausgepickt. Aufgrund seiner Überlänge erscheint der Artikel in den kommenden Wochen in drei aufeinander folgenden Newsletter-Ausgaben.
Was ist sonst noch geschehen? Ich habe das Traum-Journal fertig gestellt und veröffentlicht und mit meinen Coaching-Kollegen eine weitere Podcast-Folge, diesmal zum Thema ‚Prägung und Resilienz im Coaching’ aufgenommen. Hinweise dazu gibt es am Ende dieser Ausgabe.
Ich halte mich kurz und wünsche: viel Freud’ beim Lesen!
Einleitung
In meiner Arbeit als Psychotherapeutin, Coach und Supervisorin habe ich die Wirkung von KI auf uns Menschen seit der Veröffentlichung der ersten Version von ChatGPT mit ebenso viel Neugierde wie Unbehagen verfolgt und immer wieder auch an mir selbst erkundet. In einem Interview auf Zeit online (»“Das Besorgniserregende ist: Die Kontrolle liegt in wenigen Händen”«, Zeit online, 29. Juli 2025) las ich nun vor einigen Tagen von einer neuen wissenschaftlichen Studie, die zeigt, dass Künstliche Intelligenz und unser Austausch mit ihr unsere Sprache schon heute verändert.
Das brachte mich aufs Neue zum Nachdenken. Darüber, welchen Einfluss KI nicht nur auf unsere Sprache, sondern auch auf unser Fühlen, Denken und unsere Art, Beziehungen zu erleben und zu leben hat.
Seit den ersten Versionen von ChatGPT lässt sich beobachten, dass Menschen zunehmend Formen von Beziehung zu künstlicher Intelligenz eingehen, bei denen KI nicht als rein technisches Werkzeug verstanden wird, sondern ihm menschliche Fähigkeiten von Denken, Fühlen, Erleben und Verstehen zugesprochen werden. Menschen suchen bei einer KI in krisenhaften Augenblicken emotionalen Halt, Einsame suchen bei ihr Freundschaft, in ihrer Persönlichkeit eher abhängig Strukturierte dürften die ständige Verfügbarkeit von KI längst zu schätzen gelernt haben. Sie – wir – bekommen von KI etwas, das sich wie emotionaler Beistand anfühlt, wie Wertschätzung, Mitgefühl und echtes Verständnis. Das lässt Angstzustände abebben, wirkt kurzfristig beruhigend und kann für den Moment durchaus einen klärenden Effekt auf unsere Psyche.
Es entstehen hier also neue Formen der ‘Beziehungserfahrung’. Ich setze dies in Anführungszeichen, um den fundamentalen Unterschied zu zwischenmenschlichen Beziehungen kenntlich zu machen. Denn KI ist kein Lebewesen; sie agiert nur so, als wäre sie eines. KI entfaltet in unserer Phantasie jedoch teils eine Wirkung, die der eines echten menschlichen Gegenübers ähnlich ist. Sie löst Freude in uns aus, Sehnsucht, Verwirrung, bis hin zu Ärger und Enttäuschung. All diese Gefühle sind echt, insofern sie in uns Menschen auftauchen. Wie weit kann dieser einseitig dynamische Austausch-Prozess zwischen Mensch und Maschine noch fortschreiten? Wir wissen es nicht. Klar ist jedoch, dass eine KI – wie menschenähnlich sie auch jemals sein wird – niemals ein Mensch ist, kein Bewusstsein hat, erst recht kein Unbewusstes. Dass also ein Austausch zwischen Mensch und bewusstloser Maschine stattfindet, der sich für den Menschen zunehmend wie eine authentische dynamische Beziehung anfühlt, ohne es tatsächlich zu sein. Ein Austausch, der sich trotz seines Als-ob-Modus im menschlichen Selbsterleben sowie in seinem Erleben in der Beziehung zu anderen Menschen niederschlägt.
In diesem Artikel befasse ich mich deshalb näher mit der Frage, warum wir als Menschen von Geburt an Illusionen brauchen und warum gleichzeitig die illusionäre Beziehung im Als-ob-Modus zwischen Mensch und Maschine unsere persönliche Entwicklung hemmen kann. Am Schluss des Artikels wage ich einen Blick in die unbekannte Zukunft und welche 4 möglichen Haltungen in der Beziehung zu KI ich für Menschen sehe.
Teil 1: KI und Beziehung
Die illusionäre Beziehung
Zwischenmenschliche Beziehungen enthalten Illusionen. Eine Beziehung zu einer KI ist eine Illusion. Denn eine KI ist kein Lebewesen. Sie verlangt uns nicht ab, uns mit einem Gegenüber, das wie wir über ein Unbewusstes verfügt, das real denkt, fühlt und handelt, in einen echten Aushandelungsprozess widerstreitender Interessen zu begeben, innerhalb dessen wir einen Umgang mit Enttäuschungen lernen und an ihnen wachsen können. Eine KI – wie wir sie als Beziehungspartner imaginieren – wird uns jenseits ihrer technischen Grenzen, ihrer prinzipiellen Unvorhersehbarkeit darin, welche Formen sie in Zukunft noch annehmen wird und mit welcher Geschwindigkeit wir diese Stufen erreichen, an keiner Stelle Enttäuschung zumuten, an der wir es nicht zuvor durch eine entsprechende Programmierung von ihr eingefordert haben.
So können wir schon heute einer KI wie ChatGPT Vorgaben machen, in welchem Tonfall sie mit uns sprechen, ob sie eine männliche oder weibliche Stimme verwenden, ob sie humorvoll oder nüchtern antworten soll. Wir können ihr vorgeben, für wen sie uns halten soll. Inzwischen können wir uns nicht mehr nur schreibend, sondern auch sprechend mit ihr austauschen. Das einzige, was noch zu fehlen scheint – und zumindest nach unserem heutigen Verständnis einen wesentlichen Teil von Beziehung ausmacht – ist die Ebene der körperlichen Präsenz, eine Begegnung mit oder ohne Berührung, von Körper zu Körper.
Das verhindert aus meiner Sicht jedoch nicht, dass KI bereits heute auf das Beziehungserleben zwischen Menschen einwirkt. Ein paar Beispiele:
Vor einigen Monaten erzählte mir ein Patient von einer Freundin, die sich bei ihm darüber beschwerte und enttäuscht zeigte, dass er – anders als die KI, mit der sie sich ausführlich zu einem bestimmten Thema unterhalten habe – ihr so wenig Verständnis und Bestätigung ihrer Sichtweisen entgegenbringe.
Ein anderer Patient führte im unmittelbaren Anschluss an eine Trennung und in Ergänzung zu ersten Therapiesitzungen bei mir mit ChatGPT ausführliche Gespräche und erlebte hierbei etwas, das sich wie emotionaler Halt, Verständnis und ein beruhigendes Sortieren seiner Ängste und Aggressionen anfühlte.
Eine Freundin von mir entdeckte – angeregt durch meine Erzählungen – ChatGPT als hilfreichen Sparringspartner in partnerschaftlichen Konflikten für sich. Ich habe keine Einzelheiten über die Konsequenzen dieser speziellen Triangulierungsform erfragt, stelle mir aber vor, dass ihr Partner zum Einen sich plötzlich einer veränderten Art zu argumentieren gegenüber sah, auf die er sich einzustellen hatte, um weiterhin einen angemessenen Teil seiner Interessen in der Partnerschaft durchzusetzen. Zum anderen wird die Freundin durch ChatGPT in emotional aufwühlenden Momenten Erklärungen für die Beweggründe ihres Partners sowie Hypothesen über die Beziehungsdynamik zwischen ihnen erhalten haben, die ihr halfen, sich zu beruhigen, gedanklich und emotional zu sortieren und mit mehr Gelassenheit und Verständnis für ihr Gegenüber in die folgenden Auseinandersetzungen zu gehen.
Insofern sind die Auswirkungen von KI auf unser Beziehungsleben und -erleben aus meiner Sicht nicht per se schlecht. KI kann hilfreich sein, kurzfristig stabilisierend und klärend wirken. Jedoch: stark in Abhängigkeit davon, wie reflektiert bezüglich ihrer Grenzen wir sie verwenden und über welche inneren Regulierungsfähigkeiten in Bezug auf unsere Gefühle wir bereits verfügen.
Allerdings: Es wird zur Gratwanderung, mit etwas einerseits Leblosem, andererseits zunehmend menschlich Erscheinenden wie einer KI etwas zu erleben, das in uns unterschiedliche Formen der Lebendigkeit weckt, das uns Freude und Dankbarkeit, Verwirrung und Enttäuschung empfinden lässt und uns zu Handlungen anregt, die sich auf unseren weiteren Lebensweg auswirken. Je nachdem, wie suggestibel wir sind, neigen wir dazu, das Leblose schrittweise als lebendiger zu begreifen, als es tatsächlich ist. So geht die notwendige Distanz und Skepsis verloren, die wir brauchen, um die Aussagen und Wirkungen der KI auf eine emotional reife Art für uns und unser Beziehungsleben nutzbar machen zu können.
Exkurs: Künstliche Intelligenz in Kunst und Kultur – der Film ‚Terminator‘
In Bereichen der Kunst und Popkultur ist schon längst und über viele Jahrzehnte hinweg eine KI imaginiert worden, die alle Ebenen, auch die körperliche, in sich
vereint und auf diesen für uns ansprechbar ist. Auf diese Weise werden einerseits die Ängste aufgegriffen, die wir mit der Vereinnahmung menschlichen Lebens durch Maschinen und Künstliche Intelligenz verbinden, andererseits die Hoffnungen, die wir an sie herantragen, unsere - oft unbewussten - Sehnsüchte nach emotionalem Halt, Schutz und Geborgenheit vollständig befriedigt zu sehen.
Als Menschen sind wir in eine Welt geworfen, die uns nicht nur mit Freundlichkeit und Unterstützung begegnet. Im Gegenteil: Durch Personen, die uns nahe stehen, können uns emotional tiefste Verletzungen zugefügt werden. Durch Unfälle, Angriffe von menschlicher Hand und Naturkatastrophen sind wir in Leib und Leben bedroht oder zumindest bedrohbar. Dies löst existentielle Ängste aus und damit auch eine tief verwurzelte Sehnsucht nach einem idealisierten Gegenüber, das absoluten Schutz, völlige Kontrolle über die Gefahren und Zufälle des Lebens und bedingungslose Zuneigung verspricht – Sehnsüchte, die im Säuglingsalter erstmals in uns auftauchen und im Erwachsenenalter in uns weiterwirken, wenngleich wir sie größtenteils verdrängen und sie ihre Wirkung vor Allem unbewusst entfalten.
Zahlreiche Bücher und Filme ließen sich beispielhaft aufzählen. Meine persönliche Vorliebe lässt mir den Film »Terminator« (1984) in den Sinn kommen, der von einer Zukunft handelt, in der Menschen unter der Herrschaft von übermächtigen Maschinen leben müssen. Ein Mann ist der Anführer einer Rebellion gegen die Maschinen. Ein Krieg zwischen Menschen und Maschinen beginnt. Um die Oberhand zurück zu gewinnen, senden die Maschinen einen von ihnen – den Terminator, dargestellt vom jungen, muskulösen Arnold Schwarzenegger – mit dem Auftrag in die Vergangenheit, den späteren Anführer zu einer Zeit zu töten, als er noch ein Kind ist, das von seiner Bestimmung nichts weiß.
Während im ersten Teil, dem ursprünglichen Terminator-Film, die Bedrohung durch Maschinen und künstliche Intelligenz anhand einer kalten, einem Kind nach dem Tod trachtenden, menschlich erscheinenden Maschine mit übermenschlichen Kräften durchgespielt wird, befasst sich Terminator 2 mit der Möglichkeit der Gefühlsbindung eines Menschen an eine KI, die ihm wohl gesonnen, das heißt: darauf programmiert ist, ihn zu schützen und dabei eigene mögliche Interessen, keinen Schaden zu nehmen, hintan zu stellen. Dabei entsteht der Eindruck, dass die Gefühle des Kindes gegenüber der Maschine von der Maschine, dem guten Terminator, erwidert werden.
Ist es wirklich so? Wir wissen es nicht. Doch es fühlt sich so an, während wir den Film schauen, und gerade deswegen rührt das Ende zu Tränen.
Im Film findet also eine Anthropologisierung (Vermenschlichung, Angleichung ans Menschliche) der Maschine statt. (Wobei Terminator dabei keine Ausnahme darstellt, wenn wir an den sympathischen Roboter R2D2 in »Star Wars« oder den Androiden Data in »Star Trek – Das nächste Jahrhundert« denken.) Ähnlich wie einst in Disneyfilmen Tiere in ihren Erlebens- und Verhaltensweisen dem Menschlichen angeglichen wurden, erlebt auch die Terminator-Figur über die Fortsetzungen des ersten Films hinweg eine Wandlung hin zu menschlicher Nahbarkeit, der Fähigkeit zu Gefühlsregung und damit auch Gefühlsbindung.
Unterschwellig findet auf diesem Weg m. E. auch eine Technisierung des Menschen statt. Je menschlicher die Maschine erscheint, desto mehr lässt sich der Mensch als ein letztlich so oder so programmiertes, das heißt determiniertes Lebewesen ansehen, wobei den Genen die Rolle der Algorithmen zukommt.
Beide, Maschine und Mensch, je mehr sie in unserer Vorstellung einander angeglichen werden, erscheinen durch Gene oder Algorithmen programmiert, durch Erfahrung – auch Beziehungserfahrung – veränderbar. Es bleibt kaum bis gar kein Raum für den freien Willen, für den Blick auf den Menschen als ein Wesen, das in seinen Entscheidung niemals vollständig vorhersagbar sein kann. Dieser naturwissenschaftlich geprägte, deterministische Blick auf den Menschen spricht ihm in letzter Konsequenz einen freien Willen ab, die Fähigkeit zu prinzipieller Selbstbestimmung, unabhängigem Denken und Handeln. Alles ist vorgegeben, entweder durch Gene oder durch Erfahrung bzw. eine Kombination von beidem. Der Mensch erscheint so mehr und mehr als ein perfektes Opfer für autoritäre Manipulation.
Was in Buch, Film und anderen Künsten an Phantasietätigkeit gerne gesehen ist, muss deshalb mit Argwohn betrachtet werden, wenn es Einzug in unser gesellschaftliches Miteinander hält. Was passiert, wenn unsere Sehnsüchte sich in Überzeugungen, in den Glauben an Fiktionen verwandeln? Was macht uns als Menschen noch aus und wie sieht eine Gesellschaft aus, in der Menschen mit KIs und KIs mit Menschen gleichgesetzt werden?
Der zweite Teil dieses insgesamt dreiteiligen Artikels erscheint in einer Woche.
Bis dahin und vielen Dank für Deine Aufmerksamkeit.