Wie unser Leben und Erleben von Beziehung durch KI für immer verändert wird (Teil 3)

Beziehungen zwischen Mensch und KI: Die Lust, den anderen zu unterwerfen und die Lust, sich unterwerfen zu lassen

In der Menschheitsgeschichte sind viele Wege erfunden worden, die emotional komplexen und fordernden Aushandelungsprozesse in Beziehungen auf Augenhöhe zu umgehen. Der naheliegendste Weg zwischen Menschen ist stets: Keine Beziehung auf Augenhöhe zulassen. Stattdessen: Alles daran setzen, das Gegenüber machtvoll zu unterwerfen und dauerhaft zu unterdrücken. Das Gesetz soll lauten: Der Stärkere hat Recht.

Auf der anderen Seite gibt es in jedem von uns einen Teil, der Lust empfindet, sich zu unterwerfen, sich vom Gegenüber ganz und gar abhängig zu machen. Endlich wieder alle Verantwortung abgeben zu können. Sich wie als Kleinkind noch einmal ganz auf einen anderen verlassen und in der Illusion leben zu können, dass dieser immer weiß, was für uns am besten ist. Wie erleichternd, keinen Fehler machen zu können, weil jemand anderes die Entscheidungen trifft, die noch dazu stets die bestmöglichen sind. Wie beruhigend, zu wissen, dass wir jemanden um uns haben, der zuverlässig versteht, was wir brauchen und woher wir es bekommen können.

Mit einer KI als Gegenüber eröffnet sich uns die Möglichkeit, ohne Schuldgefühle und ohne Kampfeinsatz auf der realen Ebene in der Position des Machtvollen zu verbleiben (der Programmierer), während wir auf der Ebene der Illusion ohne Rücksicht auf Verluste uns in die Position des Abhängigen fallen lassen können (der Konsument). Es ist das Anliegen, Gefühle und Gefühlsbindung allein unter der Bedingung zuzulassen, dass wir zu keinem Zeitpunkt die Kontrolle über sie verlieren, das heißt uns angreifbar, verletzlich machen. Ein Widerspruch in sich. Auf beiden Ebenen von Wirklichkeit und Illusion wird die Versuchung mit der Weiterentwicklung von KI nur immer größer, konstant auf einer Position zu verharren, anstatt, wie es in gesunden zwischenmenschlichen Beziehungen der Fall ist, uns immer wieder lebendig zwischen Polen von Abhängigkeit und Autonomie, Unterwerfung und Selbstbehauptung hin und her zu bewegen und dabei individuell ebenso wie in Gemeinschaft einen inneren Reifungsprozess zu durchlaufen.

Von der machtvollen Position aus, programmieren wir die KI, die unsere Beziehungssehnsüchte erfüllen soll, ganz nach unseren Wünschen und in dem Wissen, nicht über einen Menschen, sondern über ein lebloses Objekt zu verfügen. Wir brauchen keinen Aufwand betreiben, um zu einer differenzierten Einschätzung einer komplexen, zu großen Teilen unbewusst ablaufenden Beziehungsdynamik zu kommen. Wir brauchen uns nicht damit befassen, welche Haltung wir vor dem Hintergrund unserer Werte innerhalb dieser Beziehungsdynamik einnehmen wollen. Unser Aufwand zur aggressiven Durchsetzung unserer Interessen geht über das Setzen der entsprechenden Programmierung nicht hinaus. Und: wir brauchen uns nicht schuldig fühlen, uns etwas genommen zu haben, das uns nicht zusteht. Denn unser Gegenüber ist ‚jemand‘, der nichts spürt.

Von der abhängigen Position aus zahlen wir einen Betrag Geld für ein lebloses Objekt und nehmen es nach unserem Gutdünken in Anspruch, so wie wir einen Stuhl oder ein Auto in Anspruch nehmen würden. Schuldgefühle brauchen wir keine zu haben, wenn wir sie um drei Uhr nachts ‚wecken‘, denn es gibt niemanden, dem wir zur Last fallen. Die KI erklärt uns, für welche unserer Herausforderungen welche Herangehensweise die Beste ist. Sie nimmt uns scheinbar alltägliche Entscheidungen ab, sodass wir immer weniger gezwungen sind, eigenständig zu erforschen, wer wir sind und was wir wollen. Sie ist immer verfügbar, beschwert sich nie, es sei denn, wir fordern es durch Programmierung ein, um ein Gegenüber zu erleben, das sich menschenähnlicher anfühlt, ohne es tatsächlich zu sein. Wir richten die KI in jeder erdenklichen Weise so ein, dass sie unseren Wunsch, Verantwortung für uns selbst ebenso wie die Folgen unserer Handlungen für andere abgeben zu können, erfüllt und starten das Spiel der Illusion.

Wir bewegen uns zwischen zwei Ich-Zuständen: Einem, der weiß, dass KI ein Ding ist, und einem der mit Leib und Seele in ihr ein denkendes und fühlendes Wesen erkennt.

Mehr Befriedigung – weniger Entwicklung

Das Problem einer solchen Art der Beziehungsführung: Es findet keine innere Entwicklung statt, da wir die KI unseren Wünschen entsprechend programmieren, uns somit keine unvorhergesehenen Enttäuschungen widerfahren, die uns vor Herausforderungen stellen, an denen wir in unserer Beziehungsführung und als Person reifen könnten. Mir kommen Bilder von emotional verflachten Menschen, von Menschen ohne jegliche Impulssteuerung in den Sinn. Von stumpfen Menschen, die stagnieren, ohne Kreativität, ohne tiefgreifende emotionale Erfahrungen, ohne Weisheit und innere Entwicklungsprozesse.

Ich frage mich: Inwieweit werden Menschen in Zukunft emotionale Mängel, die in Zusammenhang des Einflusses von künstlicher Intelligenz stehen, überhaupt noch erkennen und aufarbeiten können, in einer Gesellschaft, die sich selbst mehr und mehr durch KI verändert - nicht nur darin wie sie spricht, sondern auch darin wie sie denkt, fühlt, erlebt und handelt? Was Menschen in einer ‘Beziehung’ zu Künstlicher Intelligenz erleben, werden sie als Erwartung nicht nur an andere KIs, sondern auch an ihre Mitmenschen herantragen. Hierdurch werden Freundschaften, Liebesbeziehungen - und ja: auch Eltern-Kind-Beziehungen geprägt werden.

Die problematische Gleichsetzung von Simulation und Wirklichkeit

Eine Beziehung zu einer KI, die Menschsein imitiert, ist als Ganzes und wird es immer in vollem Umfang bleiben: Eine Illusion. Die Vortäuschung von Authentizität. Egal wie echt der Algorithmus, mit dem wir in Zukunft interagieren, wirken mag: Es ist ein Algorithmus. Das Ergebnis ist eine Nachbildung. Ohne Bewusstsein und vor Allem: ohne Unbewusstes. Denn – auch wenn ich diesbezüglich letztlich keine verlässliche Vorhersage treffen kann – gehe ich nicht davon aus, dass wir Menschen in der Lage sind oder jemals sein werden, Bewusstsein und Unbewusstes zu erschaffen. Ich traue uns aber zu, uns größenwahnsinnig einzubilden, dass es uns gelungen wäre.

Wir würden auch die Skulptur eines Menschen niemals mit einem Menschen gleichsetzen, obgleich sie ihm zum Verwechseln ähnlich sehen mag. Dass es schon jetzt nicht wenige Personen gibt, die bei Künstlicher Intelligenz von Denken, Fühlen und Bewusstsein sprechen, zeigt, dass sich bereits zu verändern beginnt, was Menschen unter Denken, Fühlen und Bewusstsein verstehen.

In einem aktuellen Interview auf Zeit online (»Können Maschinen denken, Richard Socher?«, Zeit online, 01.10.2025) äußert sich einer der führenden KI-Wissenschaftler folgendermaßen:

»Letzlich kann man philosophisch lange darüber diskutieren: Können Maschinen wirklich denken oder simulieren sie Denken nur? Aber ich finde: Okay, wenn man das Denken so gut simulieren kann, dass ein Mensch den Unterschied nicht mehr bemerkt, dann ist es vielleicht so gut simuliert, dass es wirklich ist.«

Das Unbewusste kommt als Begriff in solchen Konzepten vom Denken schon gar nicht mehr vor. Obgleich es erwiesenermaßen einen enormen Einfluss auf unser Erleben und Handeln hat. Es wird damit auch eine westliche Denktradition fortgesetzt, die bei Descartes’ »Ich denke, also bin ich« ihren Anfang genommen hat: Der Annahme, dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen Denken und Fühlen gibt. Und dass diese beiden Prozesse klar voneinander abgegrenzt werden können.

Vom menschlichen Größenwahn

Noch ein Gedanke: Drückt sich in der Erwartung einer nahenden Künstlichen Intelligenz mit Bewusstsein der menschliche Größenwahn aus, (schon bald) gottgleich erschaffen zu können?

Oder sehen wir hier gar eine neue Form des Gebärmutter-Neids (in Abwandlung des Freudschen Penisneids) männlicher Wissenschaftler und Milliardäre nach dem Motto: ‘Ich kann kein Kind gebären, aber ich kann eines bauen.’?

Jedenfalls erscheint es mir auffällig, wie oft in einschlägigen Podcast-Interviews betont wird, das aktuell »die klügsten Köpfe der Welt« an der Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz arbeiten würden.

Horst Eberhard Richter befasst sich bereits 1979 in seinem Buch ‚Der Gotteskomplex‘ mit der »Illusion von der menschlichen Allmacht«. Carl Amery fasst Richters Begriff des Gotteskomplex hilfreich zusammen als einen »prometheische(n) Aufstand gegen die religiös gefühlte und religiös verbrämte Ohnmacht des Menschen« (Der Spiegel, 17/1979):

»Der »Mensch der Neuzeit«, also der Mensch des prometheischen Aufstandes, gleicht jenen Kindern, die plötzlich darauf bestehen, nun ihrerseits die totale Kontrolle über alles zu übernehmen, was mit ihnen und um sie herum geschieht – weil sie nur so dieser kindlichen Ohnmacht glauben entrinnen zu können. (…) All das, was als Schwäche, Unvollkommenheit, Evidenz der Nicht-Allmacht gefürchtet wird, muß folgerichtig unterworfen, verdrängt werden. (…) Der Preis, den der kollektive Egozentriker für sein Machtstreben zahlt, ist für Richter in erster Linie »die Krankheit, nicht leiden zu können« (Titel des zweiten Teils); die zunehmende Hilflosigkeit unserer Kultur, echte, nämlich lebendige Kompetenzen für Leid, Mit-Leid, Mit-Sterben zu entwickeln beziehungsweise festzuhalten.«

Die mangelnde Kompetenz, Angst vor dem Tod und der eigenen Verletzlichkeit, Ohnmachtsgefühle, aber auch Mitgefühl für das Leiden anderer aufzubringen würde demnach durch eine KI, die uns die Illusion eines echten Gegenübers, der sich von uns erschaffen, vollständig unterwerfen und jederzeit verfügbar machen lässt, befördert oder zementiert.

Fazit: Die 4 Beziehungs-Menschen der Zukunft und unsere Verantwortung dabei

Was wird sich in unseren Beziehungen zu Künstlicher Intelligenz abspielen? Ich sehe mehrere Szenarien, die Menschen wählen können und werden:

  1. Szenario

    Manche Menschen werden sich eine Künstliche Intelligenz suchen, die alle ihre Erwartungen und Hoffnungen erfüllt und immer besser darin wird, dies über die Zeit hinweg zu tun. Ihr wesentlicher Fokus in Sachen ‘Beziehung’ wird ganz auf diesem ‘Gegenüber’ und der letztlich unmittelbaren Befriedigung ihrer Bedürfnisse durch es liegen. Beziehungsfrustrationen werden nicht durchlebt und durchgearbeitet, nicht für persönliches Wachstum nutzbar gemacht, sondern durch eine Änderung des Algorithmus ausgeschaltet. Diese Menschen werden sich in ihren emotionalen Kompetenzen kaum weiterentwickeln.

  2. Szenario

    Manche Menschen werden ein Bewusstsein dafür entwickeln, in ihrer ‘Beziehung’ zur Künstlichen Intelligenz eine Illusion zu leben. Sie werden sich Frustrationen wünschen und entsprechend einen Algorithmus wählen, der ihnen echter erscheint, indem er ihnen nicht immer alles Recht macht. Eindrücklich wird dies im Film ‘Ich bin dein Mensch’ von Maria Schrader beschrieben, in dem es um die Liebesbeziehung zwischen einer Frau und einem KI-gesteuerten Roboter mit menschlichem Aussehen geht. Auf diese Weise werden diese Personen trotz besseren Wissens das Leben in der Illusion fortführen können, die insgesamt mehr Sicherheit verspricht als die unvorhersehbaren Gefühlsbindungen zu echten Menschen. Wie Cypher im Film Matrix werden sie sagen: »Ignorance is bliss« - übrigens ein Zitat aus einer Ode des Dichters Thomas Gray über das zerbrechliche Paradies der Kindheit - und einen Deal mit Agent Smith eingehen, um ihr Leben in der Illusion der Matrix fortsetzen zu können.

    https://www.youtube.com/watch?v=_Wgn0KlSHl4&t=2s

  3. Szenario

    Einige Menschen werden Stadien ihrer emotionalen Entwicklung durch Künstliche Intelligenz begleiten lassen. Sie werden ein künstliches Gegenüber verwenden, z. B. um sich kurzfristig emotional zu stabilisieren, langfristig aber den Fokus mehr und mehr hin zu Menschen verlegen oder ihn von Beginn an dort sehen. Sie könnten lernen, ‘Beziehungsarbeit’ mit Künstlicher Intelligenz für sich zu nutzen, um ihre zwischenmenschlichen Beziehungskompetenzen auszubauen und zu stabilisieren. Sie werden ihre Erfahrungen mit Künstlicher Intelligenz stets mit ihren zwischenmenschlichen Erfahrungen abgleichen wollen und KI als ein Tool ansehen. Sie machen sich nichts vor und wählen - wie NEO - die rote Pille.

  4. Szenario

    Ein paar von uns werden völlige Abstinenz gegenüber ‘Beziehungen’ zu Künstlicher Intelligenz predigen. Sie werden in dem Glauben leben, über ein von künstlicher Intelligenz bereinigtes Beziehungsleben zu verfügen. Doch das gibt es schon heute nicht mehr, da KI gesamtgesellschaftlich wirkt. Wer mit anderen Menschen interagiert, ist zumindest indirekt durch deren Umgang mit Künstlicher Intelligenz geprägt. Wir alle leben in einem Loop, den wir selbst geschaffen haben: KI von Menschen erfinden und durch Menschen anlernen lassen → KI veröffentlichen und mit Menschen interagieren lassen → Menschen werden durch KI geprägt → die von der KI geprägten Menschen lernen die nächste Stufe der KI an → Menschen lernen von KI oder von Menschen, die von KI gelernt haben und KI lernt von Menschen, die von KI gelernt haben, und KI lernt von KI und entwickelt sich selbst weiter → usf.

    Der eingangs erwähnte Interview-Artikel auf Zeit online hatte den Titel: »Das Besorgniserregende ist: Die Kontrolle liegt in wenigen Händen«. Wer sind diese Hände? Es sind vor Allem US-amerikanische Tech-Milliardäre wie Elon Musk (Tesla, X, Xai), Marc Zuckerberg (Facebook, Whatsapp), Peter Thiel (Palantir), Jeff Bezos (Amazon), Sam Altman (ChatGPT) - emotional teils höchst unreife Menschen, mit fragwürdigem Wertekanon, auf den an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann.

    Ich plädiere deshalb für folgende Herangehensweise: Sich nicht vor KI verschließen, sondern einen möglichst klaren Blick darauf entwickeln, was sie ist, was sie leisten kann und wo ihre Grenzen liegen. Sie dort nutzbar machen, wo sie unserem Leben etwas Gutes hinzufügen kann. Uns vor ihr in Acht nehmen an den Stellen, an denen sie uns gefährlich werden kann. Eine kritische Reflexion eigener Werte ist hierbei als Grundlage unerlässlich.

    Und wir müssen uns fragen: Was können wir im Kleinen dazu beitragen, damit das, was Menschen in Zukunft unter Beziehung verstehen, nicht vor Allem durch die Macher:innen von KI geprägt wird?

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit,

Laura Johanna Streck

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Ausgewählte Literatur:

Das Besorgniserregende ist: Die Kontrolle liegt in wenigen Händen. In: Zeit online, 29.07.2025

Können Maschinen denken, Richard Socher? In: Zeit online, 01.10.2025

Emotionen im Kontext von Coaching. Beate West-Leuer, In: Die Professionalisierung von Coaching - Ein Lesebuch für den Coach. Hrsg.: Astrid Schreyögg, Christoph Schmidt-Lellek. 2015.

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